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die Geschichte der Vinschgerbahn

 

                     a)     Vorgeschichte zum Eisenbahnbau

               b)     Der Vinschgau vor dem Bahnbau

               c)      Erste Projekte und technische Vorarbeiten

               d)     Finanzierung und Bau der Vinschgaubahn

               e)     Die Bahneröffnung 1906

               f)        Der Bahnbetrieb bis zum 1. Weltkrieg

               g)     Anschlussprojekte und deren Scheitern

               h)      Die Vinschgerbahn als italienische Staatsbahn

                i)       Langsamer Niedergang

der Eröffnungszug 1906 in Meran

 

 

a.   Vorgeschichte zum Eisenbahnbau

Das 19. Jh. ist geprägt vom intensiven Eisenbahnbau in ganz Europa. Angetrieben durch den großen wirtschaftlichen Aufschwung, welchen die Modernisierung des Ver­kehrsnetzes brachte, betrieben alle Staaten Europas eine intensive Eisenbahnerschließung. Die bisherigen Handelsstraßen verloren mit den neuen Schienenwegen zunehmend an Bedeutung und die Wirtschaftsgeographie legte ihr Hauptaugenmerk auf die verkehrstechnische Revolution der Eisenbahn.

Zur Mitte des 19. Jh. erreichte der Eisenbahnausbau den Alpenraum. Vor allem das Schweizer Bahnnetz erfuhr eine rasche Expansion. Für den Alpenraum mit seiner naturgemäß schwachen Agrarstruktur waren Verkehr und Fremdenverkehr gegen Hochindustrialisierung und wachsendes Wohlstandsgefälle die einzige Chance. Unter diesem Aspekt und unter dem Konkurrenzdruck durch die im Westen angrenzende Schweiz, maßen die Habsburger dem Eisenbahnausbau in Tirol eine wichtige Rolle zu. Es entwickelte sich ein regelrechter wirtschaftlicher Wettkampf zwischen den Alpenländern, mit dem Ziel, den optimalen Verkehrsweg über die Alpen zu besitzen. Die Nord – Südverbindung sollte zudem auch dem Fremdenverkehr, der Landwirtschaft und anderen Wirtschaftszweigen zum Vorteil sein und zum wachsenden Volkswohlstand beitragen. 1858 wurde die Strecke Innsbruck – Kufstein feierlich eröffnet und weitere Bahnprojekte folgten, wie z. B. die 1867 eröffnete Brennerbahn, welche die wichtige alpenüberquerende Verbindung für den Großraum-Transitverkehr brachte. Die k.k. priv. Südbahngesellschaft betrieb im Süden Tirols eine forcierte Lokalbahnpolitik, die als einziger möglicher Ausweg angesehen wurde, um von Verkehrsgroßmächten wie der Schweiz und Bayern nicht vollkommen an den Rand gedrückt zu werden.

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b.    Der Vinschgau vor dem Bahnbau

Der Vinschgau bildete im Zusammenhang mit den anschließenden Alpenpässen seit Jahrhunderten einen wichtigen Verkehrsweg. Schon vor 2000 Jahren führte hier die römische Hauptstraße Via Claudia Augusta von Verona nach Augsburg. 

In der früheren verkehrsarmen Zeit hat der Vinschgau als die Getreidekammer Tirols gegolten. Die Getreidewägen belieferten die Bozner Märkte. Dies änderte sich mit dem einsetzenden Ausbau des Eisenbahnnetzes, durch den die Schwierigkeit der Getreidebe­schaffung überall beseitigt wurde. Damit war die Voraussetzung für die Umgestaltung der Bodenkultur gegeben. An die Stelle des Getreidehandels trat der Obsthandel, dem sich nunmehr die günstigsten Aussichten eröffneten und einen wahren Wetteifer in der Anlegung von Obstgärten zur Folge hatte.

Boden und Klima waren und sind im Vinschgau für den Obstbau äußerst günstig. Es fehlten jedoch noch rasche und billige Lieferungsmöglichkeiten.

Der Wagen- und Fremdenverkehr wurde seit jeher von den Postkutschen und Vorspann­diensten betrieben. Tägliche Stellwagenfahrten von Meran bis Mals oder ins Münstertal waren die einzigen Transportmöglichkeiten. Deshalb wurde damals dem Obstbau noch keine sonderliche Bedeutung beigemessen. 

Für einen wirtschaftlichen Auf­schwung des Vinschgaus war eine Anbindung an das Gesamttiroler Eisenbahnnetz notwendig.

So kam die Region nach dem Zeitalter der Saumpferde und der Postkutscher auch schon bald ins Blickfeld der eisenbahntechnischen alpenüberschreitenden Planung.

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c.    Erste Projekte und technische Vorarbeiten

Der Vinschgau kam in den Plänen für die Eisenbahnerschließung Europas immer wieder als Verbindungsstrecke vor. Diese Pläne wurden aus wirtschaftsstrategischen Gründen erstellt und es gab bereits detaillierte Vorprojekte.

Bereits 1830 war der Venezianer Giorgio Giacomo Levi an der Reschenbahn, als Teil einer Zubringerachse von Westen, interessiert. Er fand aber keine Zustimmung in Wien.

Mit einer Überschienung des Reschenpasses wurde wiederum um 1845 spekuliert, da die „Italian and Austrian Railway Company“ aus London an einer Alternativroute für den Postverkehr des Kolonialstaates England nach Indien interessiert war.

In der Zeit des Eisenbahnbaus in Europa gehörte eine direkte Verbindung in den Orient stets zu den wichtigsten Zielen. Der Orient-Express sollte Europa über Konstantinopel mit Bagdad oder gar Bombay verbinden. 1867 suchte ein Geographen-Kongress in Paris die Idealroute Paris-Konstantinopel und stellte die These auf, dass ein Teilstück dieser Bahn durch den Vinschgau führen sollte.

An der Durchführung des Vorhabens von der Theorie in die Praxis scheiterte dann auch der Graubündner Nationalrat von Planta, der 1869 ein Bahnprojekt von Chur nach Meran umsetzen wollte.

Erst 1892 gab es zwei viel versprechende Vorkonzessionen für die Linie Meran-Landeck. Es waren dies das Projekt der Bauunternehmung Pressel, das teilweise eine Zahnstangenstrecke vorsah, und das Schwarz-Projekt mit einer Normalspurbahn. Beide Varianten wurden jedoch von Wien nur halbherzig unterstützt. Am 12. April 1892 deklarierte der Tiroler Landtag die Vinschgaubahn zur Landesangelegenheit. Zudem wurde die Vinschgaubahn von der Bevölkerung gutgeheißen und durch Kundgebungen und Versammlungen bildete sich eine Bürgerinitiative.

In Bezug auf eine Engadin-Orient-Bahn machte Wien 1895 einen Rückzieher. Eine internationale Vinschgaubahn kam für Wien wegen des hohen Schuldenbergs nicht in Frage. Leichter finanzierbar wäre jedoch eine Lokalbahn Meran-Schluderns gewesen.

Da waren selbst die Hoffnungen des Schweizer Eisenbahnpioniers Adolf Guyer Zeller umsonst, den die Idee einer Engadin-Orient-Bahn begeisterte.

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d.    Finanzierung und Bau der Vinschgaubahn

Der österreichische Eisenbahnminister versprach 1896 den Bau der Vinschgaubahn bis Mals als normalspurige Lokalbahn, sofern sich Interessierte und das Land ausreichend finanziell daran beteiligten. Die Vinschgaubahn, die als Teilstrecke der Eisenbahnver­bindung Meran-Landeck betrachtet wurde, sollte vorerst nur eine Fortsetzung der 1881 eröffneten k.k. priv. Bozen-Meraner - Bahn sein. Da anfänglich zu wenig Kapital von Privaten, sowie dem Land aufgebracht werden konnte, stieg die gewinnbringende Bozen-Meraner-Bahn mit in die Finanzierung ein. Am 16. Juli 1901 war das Finanzierungsabkommen für die Vinschgaubahn komplett und am 07. Juli 1903 wurde sie konzessioniert.

Die „Vinschgaubahn AG“ wurde gegründet und somit die finanzielle Grundlage geschaffen: beteiligt waren Staat, Land, Bozen-Meraner - Bahn und private Interessenten. Es wurden 13.000 Aktien zu je 200 Kronen ausgegeben.

Es verging noch einige Zeit, bis verschiedene bürokratische Hürden überwunden waren und die Bauarbeiten definitiv beginnen konnten. Nachdem das Eisenbahnministerium eine vierjährige Bauzeit festgelegt hatte, folgten Protestveranstaltungen und die geplante Bauzeit wurde auf zweieinhalb Jahre herabgesetzt.´

Stammaktie der Vinschgaubahn

Die Gesamtlänge der Strecke Meran – Mals beträgt 60,4 km und es werden 675 Höhenmeter überwunden.

Die Strecke beginnt beim Bahnhof von Meran auf 325 m Höhe. Bei Algund wird die Etsch überquert und bis zur Töll ist eine Talstufe zu überwinden. Dies geschieht dank einer 4,5 km langen Kehrschleife mit entsprechendem Tunnel südlich von Marling. Zwei weitere Tunnelabschnitte folgen auf dem Anstieg bis zur Töll. Die Trasse bleibt nun am südlichen Ufer der Etsch, überquert diese bei Göflan, um anschließend bei Schlanders mit einer weiteren Schleife noch eine Talstufe zu überwinden. Nun wird auf der Nord­seite des Talgrundes der Endpunkt Mals erreicht, welcher fast 1000 m ü.M. liegt. 

Im Streckenbau erwähnenswert ist die Überwindung der Steilstufe bei Schlanders, wo die Bahnbauer wiederum zu Kehrschleifen greifen mussten. Die Göflaner Brücke gehörte zu den aufwendigsten Kunstbauten. Durch einen 127 m langen Bogenviadukt, mit einem 35 m langen Haupttragewerk, musste dort die Etsch überquert werden.

 

 

die Göflanerbrücke beim Bau

Die gesamte Strecke hat sehr großzügige Bahnhofsanlagen mit auffallend langen Kreuzungsgleisen erhalten. In der größten Zwischenstation Spondinig war eine viergleisige Anlage vorhanden. Die Endstation Mals hatte mit Rücksicht auf ihre erhoffte spätere Bedeutung eine beachtliche Größe. Acht bzw. neun Gleise lagen nebeneinander.

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e. Die Bahneröffnung

Am 01. Juli 1906 wurde die Vinschgaubahn unter großen Feierlichkeiten eröffnet. Als Vertreter S. Majestät des Kaisers war Erzherzog Eugen anwesend. Zudem nahmen der Eisenbahnminister Derschatta und andere Ehrengäste an der Eröffnungsfeier teil. Im Meraner Kurhaus wurde das Festmahl abgehalten. Neben der großen Einweihungsfeier des neuen Meraner Bahnhofes, der damals als Durchzugsbahnhof am Stadtrand mit imperialem Empfangsgebäude errichtet wurde, fanden an allen Bahnhöfen bis Mals Feierlichkeiten und Ehrenparaden statt. Zum Empfang des festlich geschmückten Eröffnungszuges, für den in Schlanders ein längerer Aufenthalt vorgesehen war, hatten am Bahnhof Aufstellung genommen: Bezirkshauptmann Nagl mit der Beamtenschaft der politischen Bezirksbehörden, die Beamtenschaft des Bezirksgerichtes, des Steueramtes und der übrigen Behörden und Ämter, die Dekanat- und Klostergeistlichkeit, der Marktmagistrat und die Gemeindevor­stehung der Umgebung sowie folgende Korporationen mit ihren Fahnen: eine Schützenkolonne in Landestracht, die Standschützen, das Feuerwehrkorps, die Bürgerkapelle und der Männergesangsverein.

 

 

 

 

Ehrenparade zur Eröffnung am 1. Juli 1906 am Bahnhof in Schlanders

Als um 11 Uhr vormittags der reich geschmückte Eröffnungszug unter den Klängen der Kaiserhymne und dem Lauffeuer der Böller in die Station einfuhr und der Erzherzog die Meldung des Bezirkhauptmannes sowie die Begrüßungsansprache der Gemeindevertretung und die poetische Begrüßung der mit Blumensträußen erschienenen Mädchenschar entgegengenommen hatte, fiel der Männergesangsverein mit dem kraftvollen Chorlied „Hoch Österreich“ ein. Der Erzherzog schritt die Reihen der Beamtenschaft und die lange Front der Korporationen ab und dankte für den Empfang.

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f.      Der Bahnbetrieb bis zum 1. Weltkrieg

Für das Tal brachte die Bahn einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Laaser Marmorwerke konnten die schweren Marmorblöcke auf der Bahn befördern. Es entstanden mehrere Hotels. Das Hotel Post Hirsch in Spondinig baute aus und errichtete einen Jausenpavillon in der Nähe des Bahnhofs. Infolge des Verkehrsauf­schwungs erfuhr auch die Landwirtschaft eine gründliche Umwandlung. Landwirtschaft und Handel verstanden den Wink der mit dem Bahnbau anbrechenden neuen Zeit und machten sich gemächlich und überlegt an den Obstanbau. Durch die neue rasche Lieferungsmöglichkeit durch die Bahn stand dem Obstexport nichts mehr im Wege. Die sich einstellenden günstigen Erfolge im Absatz führten zu immer größerer Produktions­erweiterung, zur Verbesserung der Sortenauswahl und Produktionsmethoden.

Die Eröffnung der Bahn hatte zudem weitere Auswirkungen. So leistete sich der aufstrebende Weltkurort Meran das Prachtexemplar des neuen Meraner Bahnhofes, mit seinen Jugendstilelementen und die Bozen-Meraner - Bahn wurde vom reinen Privat­betrieb auf staatliche Betriebsführung durch die kaiserlich-königliche Staatsbahn (k.k. St.B) umgestellt. Die Staatsbahndirektion Innsbruck war somit für die Gesamtstrecke von Bozen bis Mals zuständig und am Rollmaterial der Vinschgaubahn stand ,,k.k. St.B. Bozen - Mals" angeschrieben. Es wurden zwölf Vierkuppler-Tenderlokomotiven des Gölsdorf-Typs 178 beschafft. 

  Bereits im Eröffnungsjahr 1906 entgleisten Lok und Tender der Vinschgaubahn in der Nähe des Bahnhofes Goldrain, aufgrund eines unterspülten Bahndamms. 

Die Vinschgaubahn hatte einen wichtigen strategischen Nutzen in den Jahren 1915‑1918 zur Verteidigung der Gebirgsfront. Während des 1. Weltkrieges brachte die Bahn Munition und Soldaten an die nahe Front.

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g.    Anschlussprojekte und deren Scheitern

Die Vinschgaubahn könnte als „Fragment einer missglückten Großraum-Bahnpolitik“ bezeichnet werden. Bevor es überhaupt zum Baubeginn der Linie von Meran bis Mals gekommen ist, existierten bereits länger als ein halbes Jahrhundert lang zahlreiche Vorstellungen, Ideen und oft auch bereits gut durchdachte Projekte, wie der Vinschgau als Verbindung zu anderen Bahnlinien genutzt werden sollte. Ein Teil dieser Projekte konnte beim Bau der Strecke bis Mals verwirklicht werden. Mehrere Projekte blieben jedoch aus unterschiedlichsten Gründen unverwirklicht.

Die Idee einer Engadin-Orient-Bahn über Triest-Bagdad-Bombay von Adolf Guyer Zeller, bei der 1895 bereits eine Begehung der zukünftigen Strecke zwischen Chur und Meran erfolgte, passte jedoch den zuständigen Wiener Kreisen aus finanziellen Gründen nicht ins Konzept, weshalb für einen Bau ausschließlich lokale Interessen ausschlaggebend blieben.

Eine solche Lokalbahn wäre die Normalspurbahn Meran - Landeck inklusive evtl. Abzweigung in die Schweiz mit 50% Steigung und einzelnen Zahnradstrecken gewesen. Diese Verbindung wurde als Reschenscheideck-Bahn bezeichnet, da sie das Inn- und Etschtal zwischen Landeck und Meran über das Reschenscheideck (Bezeichnung für den Reschenpass bis 1919, weil er eine Wasserscheide in der Nordwestecke Südtirols darstellt) verbinden sollte. Ein erstes detailliertes Vorprojekt erstellte Ing. Franz Kreuter 1891. Man war sich im Klaren darüber, dass eine Sackbahn bis Mals nicht sehr rentabel sein würde. Nur eine Bahn, die offen für Nordtirol und die reiche Schweiz war, würde auch Geld einbringen. 1896 versprach der österreichische Eisenbahnminister den Bau der Bahn vorerst nur bis Mals, versicherte aber dass dieser als Teilstrecke der Eisenbahnverbindung Meran - Landeck betrachtet wird. Die Ausarbeitung eines Fortsetzungsprojektes bis Landeck wurde in Auftrag gegeben.

1907 wurden die Projektarbeiten für die nördliche Talstrecke von Landeck bis Pfunds abgeschlossen. Vorerst wurde die Strecke jedoch nicht weitergeführt.

Ein ausschlaggebender Grund für den Bau der Linie Meran-Landeck war stets die strategische Bedeutung aus militärischer Sicht. Deshalb wurde dann auch am 01.04.1918, bereits am Ende des 1. Weltkrieges, mit den Bauarbeiten ab Landeck begonnen. Vier Zivilfirmen und eine große Zahl russischer Kriegsgefangener ermöglichten die Fertigstellung eines 22 km langen Teilstücks mit einem Tunnel bis Tösens. Was die Bahntrasse zwischen Mals und Reschen betrifft, so wurden nur Projekte erstellt, zu effektiven Bauarbeiten ist es nicht mehr gekommen. Für diese bahntechnisch schwierige Strecke wurden allerdings drei Varianten angefertigt. 

Das Kriegsende und die Abtretung Südtirols an Italien stoppte die Weiterführung der Arbeiten. Die Reschenscheideck-Bahn war Bestandteil des Vertrags von St. Germain: Art. 321 10.09.1919

„1. Innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrages kann Italien den Bau oder die Ausgestaltung der neuen Alpenbahnen über den Reschen und Predilpass auf österreichischem Gebiet verlangen. Sofern Österreich nicht beabsichtigen sollte, diese Arbeiten selbst zu bezahlen, werden die Kosten des Baues oder der Ausgestaltung von Italien vorgestreckt werden …

2. Österreich hat an Italien unentgeltlich die Pläne samt Zubehör für den Bau folgender Eisenbahnlinien abzutreten: der Bahn von Tarvis über Raibl, Görz nach Triest,… der Reschenbahn (Verbindung Landeck – Mals).“

Italien forderte kurz vor Ablauf der Frist 1925 Österreich zum Weiterbau der Reschenbahn auf. Die österreichische Regierung verlangte für das erste Baujahr einen Vorschuss von 15 Millionen Schilling. Da Italien darauf nicht antwortete, war Österreich von der Verpflichtung zum Bau befreit. Zudem war Österreich wenig interessiert, von sich aus unter großen Opfern Italien eine weitere Eisenbahn-Zubringerstrecke zu bauen.

Als der Güterverkehr zwischen Deutschland und Italien vom Jahr 1936 an erheblich zunahm, wurde nach der Besetzung Österreichs im Frühjahr 1938 diese zweite Alpenüberschienung neben dem Brenner wieder interessant. Im „großdeutschen“ Rahmen wurden die Gedanken einer Fern-Ortler-Bahn gegenwärtig. Der 2. Weltkrieg machte diese optimistischen Pläne zunichte.

Im 2. Weltkrieg wurden außer Rüstungszentren und Wohngebieten auch Nachschubwege zahlreich bombardiert. Dies traf im besonderen Maße für die Brennerbahn zu. Auch deshalb erinnerte man sich wiederum gegen Kriegsende 1944 an die begonnene und in der Planung fertige Reschenscheideck-Bahn, die man zur Entlastung der immer wieder angegriffenen Brennerbahn mit einfachen Mitteln und schnell ausbauen wollte. Für die so genannte Alpenfestung, die in den letzten Kriegsmonaten zwar geplant, aber nie existiert hat, wäre die Reschenbahn eine wichtige Nachschublinie geworden. Die Arbeiten endeten im Mai 1945.

Erst 1955 wurde im Zusammenhang mit einem Kraftwerkbau und dem Ausbau der Bundesstraße offiziell auf die Realisierung der Bahn verzichtet. Die bereits erworbenen Grundstücke kamen in den Besitz der Straßenverwaltung, denn die vorbereitete Trasse zwischen Landeck und Tösens diente später weitgehend der Verbreiterung der Bundesstrasse. Heute findet man noch Tunnel, vorbereitete Brücken und Unterführungen, die von den zwei Bauphasen der Reschenscheideck-Bahn zeugen.

Als mögliche Abzweigung für die Reschenscheideck-Bahn wäre die Ortlerbahn geplant gewesen. Dieses umfangreiche Ortler­bahn-Projekt hatte das Ziel, den Vinschgau mit ober­italienischen Städten, wie Brescia und somit mit Mailand zu verbinden. In den Jahren 1905, 1909 und 1924 wurden jeweils umsetzbare Projektstudien verfasst. Die Gemeinsamkeiten dieser Pläne sind: Abzweigung von der Reschen­scheideck-Bahn in Taufers im Münstertal; 10, 15 und 18 km langer Ortlertunnel; Anschluss an das bestehende Bahnnetz in Brescia bzw. Tirano; mehrere kilometerlange Tunnel. Die letzte der drei Studien wurde 1925 Mussolini vorgelegt, der sie genehmigte. Darauf wurde ein Komitee beauftragt, die technischen Details zu bearbeiten und die Finanzierungsfragen zu klären. Wie überall in Europa stoppte die Weltwirtschaftskrise von 1929 diese italienische Planung.

Diese unverwirklichten Anschlussprojekte hängen eng miteinander zusammen. Wegen der Möglichkeit, eine wichtige Alpentransversale zu erhalten, wurde für die Reschen­scheideck-Bahn immer eine Hauptbahn, mindestens jedoch eine normalspurige Bahn, gefordert. Aus Kostengründen sind diese Anläufe nicht gelungen. Hätte man bescheiden nur eine Schmalspurbahn verlangt, so wären diese Bahnen vielleicht gebaut worden und hätten ausgezeichnete Dienste zur Erschließung der Gebiete um den Reschen geleistet.

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h.    Die Vinschgerbahn als italienische Staatsbahn

Mit dem Friedensvertrag von St. Germain nach dem 1. Weltkrieg wurde der südliche Teil Tirols italienisches Staatsgebiet. Sämtliche Einrichtungen, u. a. auch die Vinschgerbahn, wurden den italienischen Verwaltungsstellen angegliedert.

Die zwölf k.k. Vierkuppler-Tenderlokomotiven figurierten nun als FS 893.001 ‑ 012. Als zusätzliche Kriegsablöse erhielt Italien Dampflokomotiven der Serie 78, die dann ab 1918 auch auf der Vinschger Strecke als FS 893 im Einsatz waren.

Bis 1929 verblieb die Strecke Meran – Mals im Militäreisenbahnbetrieb der Annexionstruppen. Als Wendemöglichkeit für italienische Schlepptenderlokomotiven entstand in Mals damals ein fünfzackiger Gleisstern. Die Drehstrom-Elektrifizierung Bozen – Meran 1934 machte Meran-Mals zum Inselbetrieb.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Dampflokomotiven der Reihe 740 (mit vierachsigem Schlepptender) eingesetzt. 

 

1947 wurden dem Depot in Meran erstmals vier Dieseltriebwagen (,,Littorine" ALn 56.2016, 2060 und ALn 556.2208, 2228) zugeteilt. 1949 war der Meraner Bestand bereits auf elf ALn 56 und drei ALn 556 angewachsen, mit denen der Personenverkehr Meran - Mals ab 1950 verdieselt wurde. 

Damit wurden die Dampflokomotiven der Reihe 740 im Personentransport aus dem Verkehr gezogen. Im Güterverkehr waren diese noch bis etwa 1960 im Einsatz, bis sie von den Diesellokomotiven D141 (Bo’Bo’, Fiat, 440 kW) abgelöst wurden. 1965 folgten die vierachsigen Diesellokomotiven BR 345 (Fiat, 990 kW).

Im Personenverkehr wurden die Breda-Littorine in den Jahren 1973 - 1975 von den Triebwagen ALn 668 abgelöst, die nun aber in Bozen beheimatet waren. Die neuen blau-grauen Dieseltriebzüge der Serie ALn 668 (Fiat), meistens in Doppeltraktion, wurden im Volksmund einfach aus Gewohnheit weiterhin „Littorine“ genannt.

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i. Langsamer Niedergang

Der Oberbau zwischen Meran und Mals wurde lange Zeit nicht mehr erneuert, auch wenn um 1985 streckenweise Gleiserneuerungen durchgeführt wurden. Auf einigen Streckenabschnitten, wie z. B. zwischen Kastelbell und Laas, lagen noch Schienen und Schwellen aus der k.k. Eisenbahnzeit von 1905. Nur die notwendigsten Arbeiten wurden durchgeführt. Wegen desolaten Gleiszustandes wurden auf 23 von 60 km Geschwindigkeitsbegrenzungen mit einer Maximalgeschwindigkeit von 30 km/h erlassen. Die Fahrzeit wuchs damit von einer Stunde und 40 Minuten auf volle zwei Stunden für die 60 km lange Strecke.

Die Linie hat keinerlei Adaptierungen erfahren. Die überaus zahlreichen Bahnübergänge waren nicht automatisiert. Die Schranken wurden bereits geschlossen, schon bevor der Zug beim vorherigen Bahnhof abfuhr. Geöffnet wurden sie erst, als der Zug im nächsten Bahnhof einfuhr, und so konnte es vorkommen, dass die Schranken für eine geraume Zeit geschlossen blieben. Der Fahrplan wurde kaum mit Anschlusszügen abgestimmt und die Abfahrts- und Ankunftszeiten wurden nicht verlässlich eingehalten. Dass beim Kreuzen der Züge in Latsch die Lokführer zuerst im Bahnhofsbuffet mitsammen ein Glas Rot oder einen Espresso zu sich nahmen, und erst dann weiterfuhren, hatte sich einfach eingebürgert. 

Die Bahnhofsareale boten keinerlei Einrichtungen, wie Gastbetriebe oder geheizte Aufenthaltsräume. Oft mangelte es an Parkplätzen.

Die Haltestellen lagen damals teilweise außerhalb der Ortskerne. Deshalb mussten längere Strecken zu Fuß zurückgelegt werden, weil es keine Zubringerdienste gab.

Dies waren die Gründe für einen kontinuierlichen Niedergang dieser Strecke im Personenverkehr. Auch der Güterverkehr wurde zunehmend auf die Straße verlagert. Zu lange Transportzeiten und die Unzuverlässigkeit der Bahn trugen zu dieser Entwicklung bei.

Die Vinschgerbahn wies ein erhebliches Betriebsdefizit auf und die Staatsbahn hatte offensichtlich kein großes Interesse an diesem unrentablen Seitenast.

Ende der 80er Jahre wurde jeweils in den Sommermonaten, angeblich zur Gewährung von Ferien an das Personal, die Bahn durch Autobusse ersetzt (welche eigens aus der Lombardei gemietet wurden).

Mit D.P.R Nr. 527/1987 wurde die Vinschgerbahn als „ramo secco“ (dürrer Ast) aus dem staatlichen Eisenbahnnetz abgestoßen und war zur baldigen Gesamteinstellung bestimmt.

Der letzte Fahrplan bestand noch aus werktäglich drei Zügen je Richtung mit den Dieseltriebzügen der Serie ALn 668. Die letzten Züge fuhren bereits um 15 Uhr von Mals bzw. Meran ab. Nachher war man auf den individuellen Untersatz oder den Busbetrieb angewiesen, der schon lange bestand und kontinuierlich und kundenfreundlich ausgebaut wurde. Mitschuldig am Abbau könnte auch die Verschiebung des militärischen Interesses gewesen sein, denn die Kompanien in den großen Kasernen in Schlanders und Mals sind in den 80er Jahren nach Meran verlegt oder aufgelöst worden.

Am 9. Juni 1990 fuhr der letzte Planzug der FS. Anschließend wurde dann der in der Sommerzeit üblich gewordene Ersatzbetrieb zum Dauerzustand. Denn zum ersten Schultag am 14. September 1990 wurde der Bahnbetrieb auf telegrafische Mitteilung des Eisenbahndestriktleiters eingestellt. Am 2. Juni 1991 wurde die Strecke Meran - Mals endgültig stillgelegt. Das über 60-köpfige Personal wurde anschließend auf andere Strecken versetzt und teilweise frühpensioniert.

 

Bis September 1992 wurden an einigen Wochenenden noch Sonderfahrten mit Dampfbetrieb als Publikumsattraktion veranstaltet. Diese Nostalgie - Extrazüge wurden von der historischen Dampflok der Reihe 740 angetrieben.

              Text verfasst von Manuel Massl, Schlanders Vetzan 2004             

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Bildernachweiß:  

Titel, Aktie unter d, Parade in Schlanders unter e, Entgleisung unter f : Eisenbahnlandschaft Alt-Tirol

Brückenbau unter Kap. d : Bild und Chronik von Altschlanders

Projekte unter g : Die Reschenscheideckbahn

Gr 740 und ALn 556 unter i : Die Eisenbahnen in Südtirol

ALn 668 unter i : Amici della Ferrovia – Sett. 03 

 

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